Gestern – wurde am 1. November 1972 das Institut für Anatomie gegründet

Damals hieß die Universität zu Lübeck noch Medizinische Akademie Lübeck und war die zweite Medizinische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Es gab nur einen Studiengang, nämlich die Humanmedizin. Aber dem fehlte noch die Vorklinik, sodass man in Lübeck nur den klinischen Teil des Medizinstudiums absolvieren konnte. Der erste Direktor, Prof. Dr. med. Herbert Haug, baute nicht nur das Institut für Anatomie auf, sondern wurde auch beauftragt, als Koordinator ein Vorklinikum zu planen und zu realisieren. 1973 wurde die Medizinische Akademie in Medizinische Hochschule Lübeck umbenannt. Zehn Jahre später war alles fertig. Der zweite Lehrstuhl für Anatomie wurde 1983 mit Prof. Dr. med. Wolfgang Kühnel besetzt, Studierende der Medizin konnten im Wintersemester 1983/1984 in der neu errichteten Vorklinik ihr Studium aufnehmen. 1985 wurde die Medizinische Hochschule in Medizinische Universität zu Lübeck umbenannt. Nach der Emeritierung von Prof. Haug 1988 und Prof. Kühnel 2001 wurde Prof. Dr. med. Jürgen Westermann 2001 berufen. Die Medizinische Universität hatte mittlerweile einen zweiten Studiengang, Informatik, und wurde deshalb – und bisher zum letzten Mal – umbenannt: Nun heißt sie seit 2002 Universität zu Lübeck. Seit 2012 hat das Institut mit Prof. Dr. med. Peter König wieder eine zweite Professur und unsere Universität 22 Studiengänge, wobei nicht nur im Medizinstudium, sondern auch in zehn weiteren Studiengängen Anatomie gelehrt wird.

Heute – engagiert sich das Institut für Anatomie in Forschung, Lehre und akademischer Selbstverwaltung

In der Forschung werden grundlegende Prozesse des Immunsystems untersucht, beispielsweise wie Schlaf und Infektionen das immunologische Gedächtnis und das T-Zell-Rezeptor-Repertoire beeinflussen. Außerdem steht die Lunge im Fokus und es wird erforscht, wie der Schleimtransport in der Lunge funktioniert und welche Faktoren dazu beitragen, dass die Immunantwort im allergischen Asthma falsch abläuft. Dazu werden Gewebeproben mittels Mehrfarben-Immunhistologie markiert, definierte Areale mit dem Laser herausgeschnitten und der genetische Code der darin enthaltenen T-Zellen bestimmt. In anderen Experimenten werden modernste bildgebende Techniken wie Multi-Photonen-Mikroskopie und mikroskopische optische Kohärenztomografie verwendet, um die Dynamik der Immunantwort in der Lunge von Menschen und Tieren beobachten zu können. Um die Struktur in Geweben mit höchster Auflösung zu untersuchen, steht die Transmissions- und Rasterelektronenmikroskopie zur Verfügung. Die Expertise des Instituts wird in vielen Kooperationen mit anderen Instituten und Kliniken nachgefragt und ist auch durch die Beteiligung an allen drei Forschungsschwerpunkten der Universität zu Lübeck – Biomedizintechnik; Gehirn, Hormone und Verhalten; Infektion und Entzündung – sichtbar.

In der Lehre liegt der Schwerpunkt des Instituts für Anatomie auf dem Studiengang Humanmedizin. Von den etwa 1.500 Stunden Unterricht, die knapp 200 Medizinstudierende im Laufe ihres zweijährigen Studiums in der Vorklinik erhalten, werden rund 500 Stunden vom Institut für Anatomie erteilt. Die restlichen 1.000 Stunden des Unterrichts teilen sich auf acht weitere Institute und Kliniken auf. Am Beginn und zugleich im Zentrum des Anatomieunterrichts steht die Präparation eines menschlichen Leichnams im ersten Studienjahr. Hier lernen die Studierenden in kleinen Gruppen, wie der menschliche Körper aufgebaut ist. Sie sehen, dass es gar nicht so einfach ist, Organe mit ihren Blutgefäßen und ihrer Nervenversorgung darzustellen. Sie lernen, ihren eigenen Augen zu vertrauen. Sie stellen fest, dass sich die Anatomie menschlicher Körper durchaus unterscheidet. Sie erkennen, dass es bis zum idealisierten Bild im anatomischen Atlas ein weiter Weg ist, und dass auf diesem Weg allerhand passieren kann: vom Verlust von Informationen bis zur Hinzufügung eigentlich nicht vorhandener Details. Im Laufe der Zeit begreifen die Studierenden „… dass Wissen nicht einfach vorhanden ist, sondern in seiner Genese von Voraussetzungen abhängig ist …“ (Armin Nassehi). Eine Einsicht, ohne die die Bewertung von Informationen und wissenschaftliches Arbeiten nicht möglich sind. Außerdem wird die außergewöhnliche Situation – Begegnung und Auseinandersetzung mit einem toten Menschen – genutzt, um über Leben und Tod, persönliches Empfinden, ärztliches Verhalten und ethische Aspekte in der Medizin zu sprechen. Die anderen anatomischen Kurse vertiefen die im Präparierkurs gewonnenen Kenntnisse auf die zelluläre und molekulare Ebene. Der Unterricht im Fach Anatomie wird am Ende des vierten Semesters mit Anatomie in vier Tagen, der gemeinsamen und freiwilligen Vorbereitung auf den schriftlichen und mündlichen Teil des ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung, das Physikum, beendet. Es folgt die Gedenkfeier für die Körperspenderinnen und Körperspender und ihre Angehörigen, die von den Studierenden gestaltet wird. Die Stellung der anatomischen Lehre wird auch dadurch unterstrichen, dass sie an allen drei Lehrschwerpunkten Kommunikation, Prävention und Notfallmedizin beteiligt ist. Eine wichtige weitere Aufgabe des Instituts ist die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten, denen die einmalige Gelegenheit geboten wird, ihr anatomisches Wissen aufzufrischen und Operationen zu üben, bevor sie sie am Patienten anwenden.

In der akademischen Selbstverwaltung engagieren sich die Mitglieder des Instituts für Anatomie in vielen Ämtern und Gremien. Sie haben als Vizepräsidenten, Rektoren und Studiendekane gewirkt und wurden in den Senat, viele Berufungskommissionen und den Personalrat gewählt.

Morgen – wird es darauf ankommen, das hervorragende Niveau in Forschung und Lehre zu stärken und dadurch zu bewahren

In der Forschung ist eine Konzentration auf die besonderen Möglichkeiten der Anatomie notwendig, nämlich auf die Struktur- und Musteranalyse und deren Bedeutung für die Funktion von Organen. Dies sollte möglichst an menschlichen Geweben geschehen unter Mitarbeit von Doktorandinnen und Doktoranden aus Medizin und Naturwissenschaften.

In der Lehre muss der aufwendige Präparierkurs beibehalten werden. Natürlich könnten Studierende der Humanmedizin auch – viel einfacher – an Modellen ausgebildet werden. Aber sie würden dann den menschlichen Körper in etwa so kennen, wie jemand, der ein fremdes Land anhand einer Karte beurteilen soll – und nicht wie jemand, der dieses Land selbst bereist hat. Dieser Schatz muss im Rahmen der interprofessionellen Lehre den anderen Lübecker Studiengängen in noch größerem Ausmaß zur Verfügung gestellt werden.

Die Mitwirkung an der akademischen Selbstverwaltung ist nach wie vor unabdingbar. Nur so ist es möglich, Forschung und Lehre so weiterzuentwickeln, wie es sich die Angehörigen der Universität zu Lübeck vorstellen, und nicht von außen vorgeschrieben zu bekommen.